Donnerstag, 29. Oktober 2009

Interview mit Kat von D



Das Interview mit Kat von D führte Judith Tings vom Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf. Wir bedanken uns für die Nutzungserlaubnis.

Judith Tings: Können Sie mir ein bisschen mehr über sich erzählen? Sie sind in Südamerika aufgewachsen und Ihr Nachname lautet „von Drachenberg“ – das macht mich neugierig!

Kat von D: Meine Ur-Urgroßeltern sind um die Jahrhundertwende von Deutschland nach Argentinien ausgewandert. Meine Mutter und mein Vater sind in Argentinien geboren, sie haben Missionsarbeit für die Kirche geleistet und sind viel herumgereist, sodass mein Bruder, meine Schwester und ich in Mexiko geboren wurden. Als wir schließlich in die USA kamen, war ich etwa vier Jahre alt.

Judith Tings: Das Tätowieren zu seinem Beruf zu machen, ist eine spannende Entscheidung. Ich bin mir sicher, dass die meisten Eltern ein wenig besorgt wären, wenn sie erfahren würden, dass ihre Tochter als Tätowiererin arbeiten möchte. Wie war es bei Ihnen? Hatten Sie Probleme mit Ihren Eltern?

Kat von D: Es war ziemlich schwierig, ich glaube, meine Eltern haben nicht so richtig verstanden, was ich tat. Sie glaubten, Tätowieren bedeutet, dass du mit einer Gang von Bikern, Drogensüchtigen oder irgendwelchen Ganoven abhängst.
Der Tattoo-Branche hing lange Zeit ein solches Image an, und meine Eltern brauchten einfach etwas Zeit, um Verständnis für das Tätowieren zu entwickeln und zu erkennen, was es mir bedeutet. Ich denke, dass die TV-Show meinen Eltern und auch vielen anderen die Augen geöffnet hat, ebenso wie mein Buch, das die Menschen in einer positiven Art und Weise an das Tätowieren heranführt.

Judith Tings: Sie haben Ihren eigenen Shop, „High Voltage Tattoo“ und Ihre eigene TV-Show, „LA Ink“. Was war Ihnen bei der Umsetzung dieser Projekte wichtig?

Kat von D: Ich bin sehr dankbar für die Erfahrungen, die ich bei „Miami Ink“ gesammelt habe. Dort habe ich viel gelernt, unter anderem auch, was ich nicht möchte. Als Shop-Besitzerin war es mir extrem wichtig, ein kreatives und inspirierendes Umfeld zu schaffen, mit einer Tattoo-Familie, die die Welt ein bisschen besser macht. Ich konnte ein Team von Leuten zusammenstellen, die in sämtlichen Bereichen Meister ihrer Kunst sind. Ich wollte einen Shop, in den jeder einfach reinkommen kann, egal, welche Art von Tattoo er möchte, er würde dort jemanden finden, der ihm seinen Wunsch erfüllt.
Für die TV-Show wollte ich genau so ein Team. Es wäre einfach für mich gewesen, einfach nur einen Haufen harter Frauen mit Persönlichkeit zu casten, aber es ging um die Repräsentation der Tattoo-Industrie, das war für mich das Entscheidende, deshalb wollte ich vor allem etwas Positives transportieren.

Judith Tings: Sie sind eine berühmte Tätowiererin, international für Ihren Stil bekannt und bestimmt unglaublich beschäftigt. Wie entstand die Idee, ein Buch zu machen, und wie haben Sie das Projekt entwickelt?

Kat von D: Der Verlag ist auf mich zugekommen und hat mir das Buchprojekt angeboten. Ich fand die Idee interessant, die Tattoo-Welt aus meinem Blickwinkel, also aus der Sicht eines Insiders darzustellen. Ich wollte auf keinen Fall eine Autobiografie schreiben, und es ist auch keine geworden.
Es gibt einen autobiografischen Teil im Buch, der ein bisschen davon erzählt, wo ich herkomme, aber ich wollte den Fokus immer auf der Kunst des Tätowierens lassen und die vielen Fragen beantworten, die die Leute sich stellen. Wenn du noch nie in einem Tattoo-Shop warst, hast du viele Fragen.
Obwohl ich schon vorher ausgelastet war, hat mir die Arbeit an dem Buch großen Spaß gemacht. Ich konnte mit vielen Künstlern zusammenarbeiten, konnte Porträts anderer Künstler zusammenstellen und so den Lesern zeigen, worum es beim Tätowieren geht. Es war cool, es hat viel Spaß gemacht.

Judith Tings: Als ich Ihr Buch gelesen habe, hatte ich den Eindruck, dass Sie für viele Menschen eine Art Therapeutin sind. Sie helfen ihnen, mit Problemen fertig zu werden, wenn Sie sie tätowieren. Zehrt das an Ihren Kräften oder macht es Sie vielleicht stärker?

Kat von D: Beides, glaube ich. Auf lange Sicht kann ich gut damit umgehen, ich lerne jedenfalls viel von meinen Kunden und ihren Geschichten, aber gleichzeitig habe ich es mit unglaublich sensiblen, emotional aufgeladenen Menschen zu tun, die sich aus bestimmten Gründen für ihr Tattoo entschieden haben, sie lassen sich nicht tätowieren, weil sie gelangweilt sind.
Ich glaube, die wichtigste Lektion, die ich von meinen Kunden gelernt habe, ist das Zuhören. Viele Menschen suchen einfach jemanden, mit dem sie sprechen können. Es fällt zum Beispiel vielen Leuten schwer, über den Tod zu sprechen. Für mich ist dieses Thema kein Problem, sodass der Kunde ein gewisses Vertrauen zu mir aufbaut. Das ist wichtig, denn das Tätowieren ist eine intime Angelegenheit.
Aber ich steche auch lustige und thematisch unbeschwerte Tattoos. Am Anfang fiel es mir schon schwer, auf die Erwartungen und Bedürfnisse meiner Kunden einzugehen, und ich bin auch heute keinesfalls eine professionelle Therapeutin, und ich tue nicht so, als könnte ich die Probleme meiner Kunden lösen, aber ich höre ihnen definitiv zu.

Judith Tings: Ein richtig guter Tätowierer ist an seinem einzigartigen, unnachahmlichen Stil erkennbar. Sie sind zum Beispiel bekannt für Ihre detaillierten lebensnahen Porträts. Wie haben Sie Ihre eigene Handschrift als Künstlerin entwickelt?

Kat von D: Wenn man als Tätowiererin in einem sehr üblen Teil der Stadt aufwächst, ist der am häufigsten vorkommende Stil, den man in Südkalifornien sehen kann, der Grey & Black Stil. Er beinhaltet eine Menge Handschrift: Viele Leute lassen sich die Namen ihrer Freundinnen oder Freunde stechen, andere „in Liebe und Gedenken an“ und wieder andere ihren eigenen Nachnamen. Ich habe mich also von Anfang an mit der Komposition von Schrift beschäftigt. Bereits als Kind liebte ich die Kalligrafie und habe sehr viel geübt.

Judith Tings: Sie sind eine auffällig attraktive Frau in einer sehr stark von Männern dominierten Szene. Hat das Ihre Karriere beeinflusst? Gibt es Tätowiererinnen, die Sie bewundern?

Kat von D: Es gibt ganz sicher Tätowiererinnen, deren Arbeit ich bewundere, aber für mich war das Geschlecht nie ausschlaggebend, wenn ich mir meine Vorbilder ausgesucht habe. Natürlich bewundere ich viele weibliche Künstler, so die Regisseurin und Fotografin Maya Deren, aber auch Frida Kahlo und auch Johnette Napolitano, meine Lieblingssängerin. Diese Frauen haben mich beeinflusst, weil sie stark sind, unabhängig und aus sich selbst heraus kreativ. Aber in der Tattoo-Szene orientiere ich mich wirklich eher an den Arbeiten der anderen, nicht so sehr an der Person, und da haben Männer letzten Endes eine größere Rolle gespielt.

Judith Tings: Was müsste ich denn anstellen, um von Ihnen tätowiert zu werden? Ich bin schließlich nicht berühmt.

Kat von D: Hey, ich tätowiere auch sehr gern ganz normale Leute! Ich habe eine Warteliste und bin immer so für zwei Monate im Voraus ausgebucht, länger plane ich nicht, denn es kann ja immer was dazwischen kommen.
Termine kann man per E-Mail bei mir anfragen und auf meiner Website kann man mich auch buchen. Durch meine Sendung „LA Ink“ ist der Eindruck entstanden, dass man hier ganz schwer reinkommt, aber das stimmt überhaupt nicht.

Judith Tings: Gibt es Motive, die Sie aus politischen oder persönlichen Gründen nicht tätowieren? Flaggen oder Adler habe ich nämlich im Buch überhaupt nicht gefunden.

Kat von D: Ich steche keine Motive, mit denen ich moralische Probleme habe, und wenn ich generell das Gefühl habe, dass ein bestimmtes Motiv später bereut werden könnte, dann tue ich, was ich kann, um es dem Kunden auszureden. Rassistische Vorlagen tätowiere ich auch nicht und bei Gang-Markierungen bin ich extrem vorsichtig. Und selbst guten Freunden würde ich mächtig ins Gewissen reden, wenn sie sich gleich nach der ersten gemeinsamen Nacht die neue Liebe stechen lassen wollen.

Judith Tings: Welches war eigentlich Ihr erstes Tattoo? Bereuen Sie ein Tattoo auf ihrem Körper?

Kat von D: Mein erstes Tattoo war ein J auf meinem linken Knöchel, es steht für James, meine erste große Liebe. Wir waren drei Jahre zusammen und das Tattoo werde ich ganz bestimmt niemals verdecken lassen. Ich liebe alle meine Tattoos, jedes erinnert mich an eine bestimmte Zeit in meinem Leben. Zählen kann ich meine Tätowierungen nicht mehr, sie sind alle zu einem Ganzkörperkunstwerk verschmolzen. Ich weiß nur, dass ich von dreißig bis vierzig verschiedenen Künstlern tätowiert wurde.

Judith Tings: Wie geht es bei Ihnen weiter, was haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen?

Kat von D: Sie meinen, abgesehen von der Weltherrschaft? Ich arbeite gerade an meinem zweiten Buch und fotografiere sehr viel. Ich möchte viel Zeit für meine Familie haben, viel kreativ arbeiten, ich will Klamotten entwerfen, Schmuck machen, fotografieren, stylen, Sets kreieren ... Die Sendung will ich nicht für den Rest meines Lebens machen, ich möchte reisen können, mich entspannen und ausprobieren.




Kat Von D: High Voltage Tattoo
176 Seiten, ca. 500 Abbildungen,
Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2009,
Premium-Hardcover mit wattiertem Umschlag, Fadenheftung, durchgehend in Farbe
Übersetzt von Thorsten Wortmann
ISBN 978-3-89602-927-0

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